Figurations of Modernity: Global and Local Representations of Socio-cultural Change in Comparative Perspective

Figurations of Modernity: Global and Local Representations of Socio-cultural Change in Comparative Perspective

Organisatoren
Humboldt-Universität zu Berlin SFB 640 Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.04.2006 - 08.04.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Veronica Oelsner, SFB 640; sowie Arbeitsgruppe "Figurationen der Moderne" des SFB 640 "Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel", Humboldt Universität zu Berlin

Die großen Erzählungen der Moderne sind immer wieder Thema vieler akademischer Publikationen und Forschungsschwerpunkte und damit im Blickpunkt der wissenschaftlichen Diskussion. Es konkurrieren die verschiedensten Vorstellungen, wie man Moderne erfassen und verschiedene Modernen miteinander vergleichen kann. Die klassische Perspektive auf die Moderne geht von einem Zentrum Europa und seinem ausstrahlenden Einfluss auf alle Regionen der Welt aus. Der Workshop am SFB 640 mit dem Thema „Figurations of Modernity” versuchte dagegen, die Perspektive zu wechseln und auf die (vermeintliche) „Peripherie“ zu richten, um diese analytisch ins Zentrum zu rücken und zu fragen, was das Spezifische gerade dieser nichteuropäischen Modernen ausmacht. Es sollte untersucht werden, welche Figurationen diesen Modernen unterliegen, welche Agenten des modernen Wandels ausfindig zu machen sind, welche modernisierenden Funktionen von modernen Institutionen ausgingen und welche sozialen Mechanismen in diesem Gefüge an verschiedenen Orten der Erde zu verschiedenen Zeiten von Bedeutung gewesen sind. Am Ende – so das Ziel des Workshops – sollten Ergebnisse stehen, die die Moderne gerade in nichteuropäischen Kontexten vergleichbar und konzeptualisierbar werden lassen.

Der Eröffnungsvortrag Heritage Epidemics: On Memory, Media and Modernity in Osogbo, Nigeria wurde von Prof. Dr. Peter Probst (Tufts University, Boston) gehalten. Peter Probst bezog sich auf die Inklusion des Yoruba-Waldes in das UNESCO Welterbe im Kontext der gegenwärtigen „Erbe-Epidemie“, betrachtet hier als eine der spezifischen „Konfiguration von Moderne“. Prof. Peter Probst betonte, dass es im Rahmen der Moderne nicht nur um den konstanten Bruch mit der Vergangenheit ginge, sondern auch um Bemühungen, die Vergangenheit in Form von Museen und Monumenten ‘zu gestalten’, und dass dabei verschiedene Praktiken der Erinnerung sowie unterschiedliche, oft umstrittene Ideen über die Bedeutung der Erinnerung aufeinander treffen und parallel existieren können.

Das erste Panel, Institutionalization of Modernity and Practices of the Political, welches von Vera Isaiasz (SBF 640) koordiniert und von Peter Probst kommentiert wurde, versammelte die Beiträge von Dr. Michael Pesek (SFB 640) und Verónica Oelsner (SFB 640). In seinem Beitrag Popular Cultures, Civil Societies and the Political Imagination in African Modernities konzentrierte sich Michael Pesek auf die Erfahrungen kolonialer Transformation von Gesellschaften und frühe Muster politischer Kulturen in Ostafrika. Angelehnt an alternative Ansätze, die das Politische in Afrika weiter fassen als herkömmliche „westliche“ Modelle und stärker historisieren, setzte er sich mit frühen „civil-society“-Mustern der 1920er in Ostafrika auseinander. Er stellte die Frage, ob sie Formen des Politischen verkörperten. Verónica Oelsner diskutierte in ihrem Vortrag über _Vocational Education in the Argentine Modernization Debate at the Beginning of the 20th Century _verschiedene Repräsentationen von Modernisierung und beruflicher Ausbildung in Argentinien zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Anhand dieser Repräsentationen betonte sie die „Vielfalt von Bedeutungen“, die mit Berufsschulen als modernisierenden Institutionen assoziiert wurden. Sie zeigte, dass die Bedeutungsvielfalt der Moderne lokalen Figurationen entsprach, die sich aus bestimmten lokalen Voraussetzungen ergaben, die sich wiederum stark von den Kontexten unterschieden, in denen die Moderne zuerst entstand.

Im zweiten Panel The Agency and Interfaces of Multiple Modernities, das Prof. Vincent Houben (Humboldt-Universität zu Berlin) leitete, behandelten Dr. Eugenia Roldán Vera (SFB 640) und Olaf Günther (SFB 640) Agenten des Wandels zur Moderne. Im Vortrag ‘Modern’, ‘Model’ and ‘Mobile’: Indigenous Teachers in Postrevolutionary Mexico wurde die Moderne aus der Perspektive mexikanischer Schulen als Erziehungsanstalt zum modernen Lehrer- im Sinn des modernen Menschen behandelt. Hier zeigte Eugenia Roldán Vera, wie selbst in einem kurzen Zeitraum die Konzepte zur Schaffung eines „modernen Indios“ variierten, wie unter den Stichworten „Modern“, „Model“ and „Mobile“ die verschiedensten Ansätze zur Lehrerbildung entstanden und wie dabei die Direktiven von oben auf Ergebnisse und Antworten von unten reagierten. Moderne zeigt sich hier als immerwährendes Experiment mit ungewissem Ausgang. Im daran anschließenden Vortrag von Olaf Günther The Rise and Fall of Modern Heroes. Soviet Heroes as a Metaphor for the Modern Project in Soviet Uzbekistan wurde die Vielgestaltigkeit von Entwürfen des modernen Menschen im sowjetischen Kontext untersucht. Anhand der vielschichtigen Konstruktionen von sowjetischen Helden, die aus dem Zentrum und aus den verschiedenen Provinzen kamen, zeigte er, dass hier die unterschiedlichsten Entwürfe nebeneinander stehen konnten, ohne direkt aufeinander zutreffen.

Im dritten Panel Technologies and Knowledge Production as Representations of Modernities, geleitet von Prof. Dr. Susanne Enderwitz (Universität Heidelberg) diskutierten Prof. Dr. Vincanne Adams (University of California, San Francisco) und Dr. Mona Schrempf (SFB 640) Aspekte der tibetischen Moderne. In ihrem Vortrag Modernity and Secular Morality in Tibet zeigte Vincanne Adams das Bestehen von traditionellen tibetischen Ordnungs- bzw. Wertvorstellungen neben dem Primat der modernen chinesischen Moral. Es wurde gezeigt, wie Akteure aus diesem und jenem System ihre Alltagskomponenten zusammenstellen und dabei mit Wirklichkeiten leben, die nicht einfach eine Mischung oder Hybridisierung darstellen, sondern tatsächlich unvermischt in der Alltagspraxis nebeneinander existieren. Alltag wertete sie als Zwischenraum zwischen zwei ideellen Systemen. Demgegenüber zeigte Mona Schrempf in ihrem Vortrag Biopolitics and the Making of the Modern Tibetian Family die Mächtigkeit moderner Ordnungsvorstellungen, die in Kampagnen zur Familienplanung massiv in herkömmliche Familienkonzepte eingreifen. Doch auch hier zeigt sich wieder der Pragmatismus, mit dem Menschen ihr Leben gestalten: Unter den Modernisierten fanden sich Agenten und Adressaten des Wandels, die die Vorzüge (aber auch die Nachteile) für die Gesellschaft und sich klar herausstellten.

Den zweiten Tag des Workshops eröffnete Prof. Susan Slyomovics (MIT Cambridge/Ma) mit einem Vortrag zum Thema Money Talks: The Relationship between Reparations and Human Rights Witness Testimony. Sie zeigte anhand der Beispiele der Prozesse in Nürnberg nach dem Hitlerfaschismus, Südafrika nach der Apartheid und Marokko nach der Herrschaft Hassans II. die Wege, die auf dem Weg zur “Wiedergutmachung/Entschädigung” des Geschehens eingeschlagen wurden. Im Zentrum stand der Umgang der Geschädigten mit dem Angebot der Wiedergutmachung/Entschädigung. Das Konzept der Wahrheitsfindung und der Reparation wurde hier modernen Institutionen übertragen, mit denen sich die Individuen auf ihre eigene Weise arrangierten: Sie fanden sich mit dem von den Institutionen vorgeschlagen Weg ab, sie übergingen deren Angebote oder sie vollführten ein Wechselspiel zwischen Annahme bzw. Beilegung und Wiederaufnahme von Forderungen.

Das vierte Panel, Modernity and the Construction of Memory, wurde von Prof. Dr. Vincanne Adams (University of California, San Francisco) koordiniert und von Prof. Dr. Susan Slyomovics (MIT Cambridge/Ma) kommentiert. Es umfasste die Beiträge von Prof. Dr. Susanne Enderwitz (Universität Heidelberg), Dr. Bettina Dennerlein (ZMO/ SFB 640) und Dr. Katrin Bromber (ZMO). Susanne Enderwitz Beitrag, The Emergence of Modern Arab Autobiography konzentrierte sich aus der Perspektive der Literaturgeschichte auf die Entstehung der modernen arabischen Autobiographie und ihres raschen Wandels angesichts der Rolle einer städtischen kultivierten Elite mit zunehmend individualistischen Einstellungen. Dabei hob sie die Besonderheiten hervor, die arabische Autobiographien entwickelt haben, welche sie von anderen, namentlich westlichen Autobiographien unterschieden. In (Re-) Constructing the Past: Morroccan Equity and Reconciliation Commission (IER) stellte Bettina Dennerlein eine Analyse der Erfahrungen der 2004 eingesetzten marokkanischen Wahrheitskommission zur Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen (Instance Equité et Réconciliation, IER) vor. Bettina Dennerlein untersuchte die IER über ihre Funktion als Wahrheitskommission im engeren Sinn hinaus als Reaktion auf die wachsende Pluralität von Stimmen, die sich zur jüngsten Vergangenheit des Landes äußern, und zugleich als Medium, um mit dieser Pluralität umzugehen. Im darauf folgenden Beitrag, ‘Furnish us with the Zanzibar History’. Newspaper Discourse on Nationalism, Difference and the Past in Pre-Independence Zanzibar, präsentierte Katrin Bromber eine Diskursanalyse über Nationalismus, Differenz und Vergangenheit in dem noch nicht unabhängigen Sansibar, in der sie den politischen Gebrauch der Geschichte sowie ihren stets umkämpften Charakter betonte. Sie unterstrich, welche Rolle Geschichte als „Lektion, die gelernt werden soll“, im Kontext kolonialer Werturteile über bestimmte Gruppen im Prozess der Konstruktion nationaler Identität gespielt hat.

In seinem Schlusswort präsentierte Prof. Dr. Vincent Houben (SFB 640) einen akzentuierten Überblick über die Beiträge des Workshops. Auf der Basis der über zwei Tage gehaltenen Vorträge sei es bereits möglich, wichtige Aspekte der Moderne und Grundzüge ihrer möglichen Figurationen in außereuropäischen Kontexten zu erkennen und zu beleuchten. Auf der einen Seite sind zwei verschiedene Dimensionen der Moderne in den Vordergrund gerückt worden: Moderne als Programm und Moderne als „practice of representation“. Das impliziert zwei Sachen: erstens die Berücksichtigung des Zusammenhangs von Reflektion und Produktion der Moderne und zweitens die Berücksichtigung der Medialität und Mediatisierung der Moderne. Auf der anderen Seite erwies sich auch das Fragen nach Figurationen von Moderne als sinnvolle „Linse“ gerade für Vergleiche. Aufgrund der Beiträge könnte man Figurationen nach folgenden Aspekten untersuchen: 1) ihrer „Embeddedness“ oder Verankerung, 2) ihrer Prozesshaftigkeit und 3) im Hinblick auf „Agency“. Wenn man auf den Aspekt der Verankerung fokussiert, werden verschiedene Regionen, verschiedene politische Ordnungen (imperial, national, kolonial), verschiedene Räumen (Museen, Schulen, öffentlichen Sphären) und zeitliche Verortungen (kolonial oder postkolonial) relevant. Der Prozesscharakter macht die notwendige Weiterentwicklung der Moderne in verschiedenen Kontexten sichtbar. Besonderheiten als Ergebnis von partikularen Aneignungs-, Konfigurations- oder Transformationsprozessen werden hier offensichtlich. Insbesondere im Hinblick auf Akteure sind Aspekte wie Ethnizität und Geschlecht zu berücksichtigen. Weiterhin fokussierten viele Beiträge auf Wendepunkte oder Krisensituationen wie Bürgerkriege, Regimewechsel oder Revolutionen. Diese begünstigen auf lokaler Ebene die Beschleunigung von Moderne, ihre Verbreitung, besondere Entfaltung, Ablehnung oder Einschränkung.

Der Workshop wurde mit der Frage geschlossen, worin der Unterschied zwischen der westlichen Moderne und anderen, beispielsweise afrikanischen oder der islamischen Moderne läge. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, müssten allerdings weitere Anstrengungen unternommen werden. Dabei könnten die Inhalte von Repräsentationen als Werkzeug dienen, sich dem Begriff der Moderne anzunähern, ihre Tendenzen zur Differenzierung/Homogenisierung zu fassen und überregionalen Vergleich zu versuchen.

Kontakt

veronica.oelsner@rz.hu-berlin.de


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